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Vom 07.03.2023
von Leni Berger und Melina Rossol
Das Cusanus-Gymnasium geht beim Gedenken an Nazi-Verbrechen neue Wege. Eine Schülergruppe der 10. Jahrgangsstufe des Cusanus-Gymnasiums absolvierte um den Auschwitz-Gedenktag Ende Januar ein Programm, das wegen seines völkerverbindenden Charakters von der Kreissparkassen-Stiftung Heinsberg gefördert wurde. Die mehrtägige Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in drei Gedenkstätten in Deutschland und Österreich erfolgte in binationaler Kooperation gemeinsam mit dem Ramsauer-Gymnasium aus Linz.
Hitlers Lieblingsstadt, Linz, die nach seinem „Endsieg“ zu einer überdimensionierten „Führerstadt“ und seinem Alterssitz werden sollte, war der Ausgangspunkt für den Besuch zweier Gedenkstätten in Österreich, bei der sich die Schüler*innen mit deutscher und österreichischer Vergangenheit beschäftigten.
Es war das scheinbar Alltägliche des organisierten Verbrechens, das die Schüler*innen betroffen machte: Das Gelände des ehemaligen KZ liegt auf einem Hügel hinter dem Dorf, so dass die damaligen Bewohner der nahegelegenen Bauernhöfe sehr genau darüber Bescheid gewusst haben müssen, wie die Gefangenen gequält und sogar getötet worden sind. Während die Häftlinge in Sklavenarbeit ihr eigenes Gefängnis aus Steinen des nahegelegenen Steinbruchs bauten, befand sich vor dem Lager ein Fußballplatz. In ihrer Freizeit spielten die Wachleute des Clubs Mauthausen II gegen andere Mannschaften allwöchentlich Fußball – vor einer begeisterten Besuchermenge aus dem Dorf. Von den Sitzreihen aus konnten die Zuschauer damals überfüllte, verdreckte Zelte mit ausgehungerten, verkrüppelten Menschen sehen. Neben Appellplatz, Küche, Wäscherei, Wohnbaracken, Arrestzellen gab es auch ein „Lagerbordell“. Hier wurden Frauen gefangen gehalten, sogenannte Funktionshäftlinge, an denen sich - als eine Art Belohnung für ihren täglichen Sadismus - die Täter vergehen konnten. 90.000 Menschen überlebten Mauthausen nicht.
Ebenfalls unweit von Linz konnten die Schüler*innen einen Ort des Verbrechens ganz anderer Art kennen lernen. Ins beschauliche Schloss Hartheim wurden ab 1939 vor allem eingeschränkte Menschen gebracht, die von Ärzt*innen als „unheilbar“ eingestuft wurden. Auch Homosexuelle, Künstler*innen, die aus Sicht der Nationalsozialisten „entartete Kunst“ geschaffen hatten, Menschen mit diagnostizierter Schizophrenie u.a. wurden hierher verschleppt und – wie auch in Mauthausen – meist durch Kohlenmonoxyd in Gaskammern getötet. Und wieder sahen Anwohner, wie viele Menschen dort mit Bussen hingebracht wurden, konnten den Gestank von verbranntem Fleisch, der durch die Krematoriumsschornsteine stieg, riechen.
In dieser Gedenkstätte konnten sich die Schüler*innen mit Fragen zu Gesundheit, Schönheit und Optimierung auseinandersetzen. Hier diskutierten die Cusaner*innen und Ramsauer*innen darüber, wie ein staatliches Programm zur angeblichen Optimierung von Menschen in Gewalt und Menschenverachtung ausarten konnte. Die jungen Leute heute zogen für sich den Schluss: „Menschen wurden aus verschiedensten vermeintlichen Gründen gedemütigt, misshandelt und getötet, doch keiner dieser Gründe zählt, denn am Ende des Tages waren es doch immer Menschen. Wie wir die Zukunft gestalten wollen, liegt in unseren Händen. Und wir sollten lernen und Verantwortung übernehmen und vor allem Stellung beziehen und für unsere Werte einstehen.“, betonen Leni Berger und Melina Rossol.
Angekommen in München empfing die Gruppe tags darauf am Eingang zum ehemaligen KZ-Dachau eine Metalltür mit dem eingelassenen Spruch „Arbeit macht frei“. In Dachau zeigte sich der Gruppe ein Ort vielfältiger Form von Sadismus: mit Steh- und Dunkelzellen, mit hoffnungslos überfüllten Hochbetten in den Barracken, so dass manche sich in die Leitern an den Betten einhaken mussten, um dort schlafen zu können. Auch dieser Ort verstörte die jungen Leute wegen seiner Biederkeit, die das Grauen vertuschte: Das Krematorium mit seinen Gaskammern und Leichenlagerräumen befindet sich in einer Grünanlage, errichtet aus Backsteinen, Fenstern und weißen Zäunen mit der Anmutung eines Landgasthauses.
Auf der letzten Station, auf dem ehemaligen Gelände der Parteizentrale der NSDAP, wo heute ein modernes Dokumentationszentrum steht, beschäftigten sich die Schüler*innen vorrangig mit den Tätern. Dabei standen Fragen im Vordergrund, wie Hitler an die Macht kommen konnte oder warum die Demokratie scheiterte, warum so viele SS- Soldaten dabei mitgemacht haben. Dazu erarbeiteten sich die Schüler*innen die Antwort, dass es um Macht ohne Humanität ging: Die Häftlinge durften den Unterdrückern nicht in die Augen schauen, mussten den Kopf immer gesenkt halten. So haben die SS-Soldaten das Gefühl bekommen, dass diese Rangordnung so richtig ist und sie den Häftlingen in jeder Hinsicht überlegen sind.
Nach all den Stationen warfen die Schüler*innen schließlich einen Blick darauf, wie nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus die Menschen in Österreich und Deutschland mit ihrer unmittelbaren Vergangenheit verantwortlich umgingen. Es überraschte viele, dass in Deutschland das KZ-Dachau erst zwanzig Jahre nach seiner Befreiung Gedenkstätte wurde; und in Hartheim wurde die Euthanasie-Anstalt sogar noch bis zum Jahr 2000 als Wohnhaus genutzt, womöglich, weil sich Österreich lange Zeit als „erstes Opfer des Nationalsozialismus“ und nicht als Mittäter verstand. Auch die Linzer Schülergruppe erschloss sich ihre Heimat durch die gemeinsame Beschäftigung mit ihren deutschen Altersgenossen neu.
Leni Berger zieht für sich und viele andere das Fazit, dass es gut ist zu sehen, wie viel sich in unserer Welt getan hat. Sie hofft, dass wir diese Fehler auf keinen Fall wiederholen. „Man kann nur hoffen, dass wir niemals vergessen und dass wir die Werte, die wir uns in dieser Welt erarbeitet haben, beschützen. Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz, Hass, Gewalt - all diese Dinge dürfen in unserer Gesellschaft nicht mehr zur Macht gelangen. Und wenn ich auch schon vorher ein Mensch war, der für Toleranz, Diversität und Frieden eingestanden ist, so ist mir nach dieser Woche klar geworden, wie wichtig es für unsere Zukunft ist, mit aller Macht dafür einzustehen. Wir Schüler*innen, die wir bald auch zur Wahl gehen dürfen, haben nun noch einmal ein ganz anderes Verständnis dafür bekommen, was unsere Demokratie bedeutet.“
Vom organisierenden Team aus dem Geschichtslehrer Herrn Dr. Kenan Holger Irmak und der Kunstlehrerin Frau Kerstin Lichius kam viel Anerkennung für die Schüler*innen: „Alle haben sich eine ganze Woche lang auf das anspruchsvolle Thema eingelassen, alle blieben auch noch nach langen Workshops neugierig und gingen bei aller Betroffenheit zukunftsgewandt mit der Frage um, was man aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen kann. Dafür gilt allen große Anerkennung.“