Brüssel Studienfahrt - Wir! Für ein gemeinsames Europa 31.01.2023
Wenn es um Entscheidungen in der EU geht, sagen viele, diese wären von „denen da oben in Brüssel“ gefällt worden. Sie identifizieren ihre Unzufriedenheit mit Diesem oder Jenem pauschal mit „der EU“.
Um diese Haltung zu hinterfragen, fuhren 27 Schülerinnen und Schüler des Abiturjahrgangs 2023 vom Cusanus Gymnasium für vier Tage nach Brüssel, um dort hinter die Fassaden zu blicken. Vor Ort trafen sie auf Politiker, Fachleute und Mitarbeitende aus allen wichtigen Institutionen der EU und hatten die Möglichkeit, sie offen und kritisch zu befragen. Alle Gastgeber zeigten sich sehr überrascht über die kenntnisreichen und tiefgründigen Fragen, die die Schülerinnen und Schüler in gründlichen Vorbereitungen im Fach Sozialwissenschaften entwickelt hatten.
Aus der Kooperation zwischen den Lehrkräften Dr. Kenan Holger Irmak und Claire Guillemaud sowie dem Leiter des Gesamteuropäischen Studienwerks e.V., Dr. Gerhard Schüsselbauer, entstand ein dichtes und anspruchsvolles Programm in der inoffiziellen EU-Hauptstadt Brüssel.
Der langjährige deutsche Beamte bei der Europäischen Kommission, Markus Häger, musste schon in seiner Beantwortung der ersten Frage, inwieweit alle EU-Institutionen ausreichend demokratisch legitimiert sind, differenziert argumentieren. Der Hinweis, dass die EU-Kommissare nicht direkt gewählt werden und als einziges EU-Organ erst dadurch konsequent und ohne langwierige Unterbrechungen durch Wahlkämpfe gesamteuropäische Interessen nach vorne bringen können, bot viel Raum für Diskussionen. Im Rat der EU, in dem sich regelmäßig die Fachminister aus den 27 Mitgliedsländern treffen, wurde deutlich, wie schwer es gerade in dieser „Kompromissmaschine“, so die Vertreterin Frau Friederike Hoffmann, ist, in den aktuellen außenpolitischen Fragen, Positionen zu finden, mit denen alle zufrieden sind. Deutschland und andere Mitglieder wollen hier eine Änderung zu Mehrheitsentscheidungen erreichen, um bei Bedarf schneller reagieren zu können, die aber wiederum eine Einstimmigkeit verlangt.
Und im Europäischen Parlament erfuhr die deutsche Besuchergruppe von einem weiteren aktuellen Vorschlag: Das Parlament möchte bei künftigen Europaparlamentswahlen sogenannte transnationale Wählerlisten durchzusetzen, so dass der Bürger bzw. die Bürgerin die Möglichkeit bekommt, auch Kandidaten eines anderen Landes zu wählen.
Dass Mitgliedsländer nicht nur ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen, sondern selbst als kleines Land das Große und Ganze im Blick behalten, wurde im Gespräch mit dem Vizeaußenminister des Landes Litauen, Arnoldas Pranckevičius, deutlich, der die Erkelenzer Schülerinnen und Schüler für den europäischen Gedanken zu begeistern wusste. Als eines von vier EU-Ländern, die an russisches Territorium angrenzen, zeigte er, wie froh er sei, dass Litauen nicht nur wirtschaftlich durch den europäischen Binnenmarkt gestärkt worden sei, sondern dass es sich im sicheren Hafen der EU befinde, weil sein Land sonst, wie er auf Englisch betonte, heute womöglich eine war-zone, also ein Kriegsgebiet wie die Ukraine, wäre. So wie bei dieser Krise sei auch bei der aktuellen Flüchtlings- sowie der Corona-Krise deutlich geworden, dass nur eine große EU stark genug sei, die negativen Folgen massiv abzufedern. Indem sich die EU nach langen Jahren der Lethargie wieder ihrer Bedeutung bewusst werde, komme nun endlich wieder Bewegung in die Debatte um eine Vergrößerung der EU um weitere Länder.
Beim Auswärtigen Dienst der EU ging es zentral um die Außen- und Verteidigungspolitik der EU: Hier habe Russlands Angriffskrieg vieles in Bewegung gebracht. So werde die innereuropäische Mobilität für Fahrzeuge der Streitkräfte, Cybersicherheit und Energiesicherheit vorangetrieben. Skeptisch blieben die Schülerinnen und Schüler bei den Realisierungschancen einer gemeinsamen Verteidigungsindustrie.
Wegen einer kurzfristigen Krisensitzung der S&D-Fraktion anlässlich des aktuellen Korruptionsvorfalles im EU-Parlament um die griechische Vizepräsidentin Kaili, wurde der deutsche Abgeordnete Jens Geier von zwei seiner Mitarbeiter vertreten. Hier sprach die Schülergruppe den Skandal um das illegale und das teilweise gefährliche Zurückdrängen von Flüchtlingen durch die Grenzschutzbehörde Frontex an. Hier habe die Fraktion bereits erste Fortschritte erreicht, indem es auf die Entlassung des Direktors von Frontex und die Einrichtung von Grundrechtebeobachtern hingewirkt habe, wobei Polen, als Standort der Agentur, die Besetzung des 40köpfigen Gremiums unterlaufe.
Angesprochen auf die wichtigste Erkenntnis aus dieser Studienfahrt verwiesen die drei Schülerinnen des Cusanus-Gymnasiums Anja K., Alexandra Z. und Caroline Th. unisono auf den Litauer Arnoldas Pranckevičius, der sie aufforderte, immer dann, wenn ihnen gegenüber jemand über die EU schimpfe, sie diese Person konkret darauf festlegen sollten, was genau denn gemeinsam abgeschafft oder hinzugefügt werden solle. Am Ende eines solchen Gesprächs würde sich meist beweisen, wie gut die EU bei aller Kritik dann doch aufgestellt sei.